(ip/RVR) Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht beschäftigte sich kürzlich mit der Frage nach der Zulässigkeit einer Zweckentfremdungsgenehmigung im Falle der Erweiterung einer Kindertageseinrichtung.

Der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin durch Erlass einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die Nutzung des Obergeschosses für die Erweiterung des Betriebes einer Kindertagesstätte bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu genehmigen.

Der Antragsteller ist ein anerkannter, gemeinnütziger Träger der freien Jugendhilfe und Eigentümer des Grundstücks, auf dem sich das Gebäude befindet, in dem er eine Kindertageseinrichtung betreibt. Diese befindet sich im Souterrain und im Erdgeschoss. Das Gebäude verfügt noch über eine Wohnung im Obergeschoss. Am 1. Oktober 2009 beantragte der Antragsteller im Baugenehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung die Erteilung einer Nutzungsänderungsgenehmigung für die oben erwähnte Wohnung im Obergeschoss, da diese auch für den Betrieb der Kindertageseinrichtung genutzt werden sollte. Die Antragsgegnerin lehnte diesen Antrag ab, weil die für die Umnutzung der Wohnung erforderliche Zweckentfremdungsgenehmigung gemäß § 10 des Hamburgischen Wohnraumschutzgesetzes (HmbWoSchG) zu versagen sei. Den Widerspruch des Antragstellers wies die Antragsgegnerin zurück, woraufhin der Antragsteller mit Schriftsatz vom 4. März 2011 seine Klage auf ein Verpflichtungsbegehren umstellte.

Am 19. Juli 2011 hat der Antragsteller den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Mit Beschluss vom 25. August 2011 lehnte das Verwaltungsgericht diesen ab.

Das Oberverwaltungsgericht entschied, dass die zulässige Beschwerde des Antragstellers in der Sache keinen Erfolg hat. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Zweckentfremdungsgenehmigung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 HmbWoSchG nicht zu.

Der Antragsteller führte aus, dass die Nutzung der Wohnung als Kindertageseinrichtung Wohnzwecken i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 HmbWoSchG diene, so dass es keiner Zweckentfremdungsgenehmigung bedürfe. Es ist jedoch fraglich, ob dies zutreffend ist, denn vom Wohnen ist die vorübergehende Unterbringung zu unterscheiden, durch die ein Mittelpunkt des häuslichen Lebens nicht begründet wird. Demzufolge wohnen weder Kinder noch ihre Erzieher in der Kindertageseinrichtung und diese dient auch keinen Wohnzwecken i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 1 HmbWoSchG.

Darüber hinaus behauptete der Antragsteller, dass die Zweckentfremdungsgenehmigung gemäß § 70 Abs. 6 Satz 3 der Hamburgischen Bauordnung (HBauO) jedenfalls als erteilt gelte, weil das Fachamt für Wohnraumschutz die Genehmigung nicht innerhalb eines Monats nach Eingang der vollständigen Unterlagen bei der Bauaufsichtsbehörde verweigert habe. Auf eine Fiktionswirkung nach § 70 Abs. 6 Satz 3 HBauO kann sich der Antragsteller bereits deshalb nicht berufen, so das Oberverwaltungsgericht, weil es bei der Mitwirkung des Fachamtes für Wohnraumschutz an der Beteiligungsform der Zustimmung oder des Einvernehmens fehlt.

Dem Antragsteller ist auch nicht darin zu folgen, so das Oberverwaltungsgericht, dass die Antragsgegnerin gemäß § 38 Abs. 1 des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HmbVwVfG) zur Erteilung einer Zweckentfremdungsgenehmigung verpflichtet sei, weil diese mit Schreiben vom 3. Juni 2004 bereits wirksam zugesichert worden sei. Die Sachlage hatte sich nach Abgabe der Zusicherung geändert: Die Wohnung wurde erneut zu Wohnzwecken vermietet. Demzufolge hätte die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung die Zusicherung nicht gegeben, so das sie gemäß § 38 Abs. 3 HmbVwVfG an die Zusicherung nicht mehr gebunden war.

Auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Zweckentfremdungsgenehmigung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 HmbWoSchG liegen nicht vor, denn es ist zwar anzuerkennen, dass grundsätzlich an der Niederlassung einer Kindertageseinrichtung ebenso wie an deren Erweiterung auch ein öffentliches Interesse besteht. Dieses öffentliche Interesse ist jedoch gegenüber dem gesetzlich begründeten und damit herausgehobenen öffentlichen Interesse am Bestandsschutz von dem Zweckentfremdungsgebot unterliegendem Wohnraum als untergeordnet zu qualifizieren. Das Oberverwaltungsgericht führt weiter aus, dass die Anerkennung eines vorrangigen öffentlichen Interesses an der Zweckentfremdung voraussetzt, dass für die Einrichtung oder Erweiterung der sozialen Anlage gerade an dieser Stelle des Stadtgebiets ein dringender Bedarf besteht und dass gewerblicher Raum als Alternative nicht zur Verfügung steht. Es bleibt festzustellen, dass nach diesen Maßstäben der Antragsteller ein vorrangiges öffentliches Interesse an der Zweckentfremdung des Wohnraums nicht glaubhaft gemacht hat. „Das reine Interesse des Eigentümers an der Erweiterung eines bestehenden Betriebs vermag mit Blick auf den Sinn und Gehalt des Zweckentfremdungsgebots und den daraus resultierenden Ausnahmecharakter einer Zweckentfremdungsgenehmigung dagegen deren Erteilung nicht zu rechtfertigen (ebenso BVerwG, Urt. v. 22.4.1994, BVerwGE 95, 341, 346 ff. zu der vergleichbaren Rechtslage nach Art. 6 § 1 Abs. 1 Satz 1 MRVerbG).“

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts wird somit zurückgewiesen. Er trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Leitsatz fasst zusammen:
„1. Die Zustimmung oder das Einvernehmen einer anderen Behörde oder sonstigen Stelle gilt im Verfahren auf Erteilung einer Baugenehmigung mit Konzentrationswirkung (§ 62 Abs. 1 HBauO) nach der Fiktionsregelung des § 70 Abs. 6 Satz 3 HBauO nur dann als erteilt, wenn der Gesetzgeber diesen ein solches qualifiziertes Mitwirkungsrecht ausdrücklich zugewiesen hat.
2. a) Das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum gemäß § 9 Abs. 1 HmbWoSchG soll in seinem räumlichen Geltungsbereich die Umwandlung von Wohnraum in andere Nutzungstypen in der Regel verhindern.
b) Ein öffentliches Interesse an einer bestimmten Nutzung im räumlichen Geltungsbereich des Zweckentfremdungsverbots - hier: einer Kindertageseinrichtung - führt allein nicht bereits zu einem vorrangigen öffentlichen Interesse, hinter dem der Schutz von Wohnraum vor einer Zweckentfremdung regelhaft zurückzutreten hat. Ein vorrangiges öffentliches Interesse setzt vielmehr voraus, dass für die Einrichtung oder Erweiterung einer derartigen Einrichtung gerade an dieser Stelle des Stadtgebiets ein dringender Bedarf besteht und andere Räumlichkeiten als Alternative nicht zur Verfügung stehen oder aus anderen als finanziellen Gründen nicht bereit gestellt werden können.
c) Ein vorrangiges berechtigtes Interesse des Eigentümers an der Genehmigung einer Zweckentfremdung von Wohnraum besteht, wenn der Wohnraum nicht mehr erhaltungswürdig ist oder wenn durch die Versagung der Genehmigung die Existenz des Eigentümers jedenfalls ernsthaft gefährdet würde, nicht aber wenn eine Betriebserweiterung unter Aufgabe von Wohnraum lediglich besonders zweckmäßig ist.“

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht vom 03.11.2011, Az.: 2 Bs 174/11


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