(ip/RVR) Der 4. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 19. Mai 2010, IV ZR 14/08, entschieden, dass eine Heilung eines Zustellungsmangels nach § 189 ZPO nicht in Betracht kommt, wenn ein von Amts wegen förmlich zuzustellendes Dokument im Parteibetrieb zugestellt worden wird.

Gegen die Beklagte erging am 15. März 2006 ein Teil-Versäumnisurteil. Das Ur-teil wurde der Klägerin von Amts wegen am 27. März 2006 zugestellt. Die Zustellung an die Beklagte schlug fehl. Ihr konnte das Urteil von Amts wegen erst am 15. Mai 2006 zugestellt werden. Zuvor war ihr bereits am 19. April 2006 durch einen von der Klägerin beauftragten Gerichtsvollzieher eine beglaubigte Abschrift des Teil-Versäumnisurteils zugestellt worden, welche die Beklagte unstreitig spä-estens am 10. Mai 2006 erhalten hatte. Am 29. Mai 2006 legte die Beklagte gegen das Urteil Einspruch ein. Das Landgericht hob daraufhin mit Urteil vom 15. Juni 2007 das Teil-Versäumnisurteil auf und wies die Klage insgesamt ab. Dagegen legte die Klägerin Berufung ein. Das Oberlandesgericht München sah die Berufung als begründet an. Der Einspruch der Beklagten vom 29. Mai 2006 sei nicht fristgerecht erfolgt. Spätestens als die Beklagte am 10. Mai 2006 die durch den Gerichtsvollzieher zugestellte beglaubigte Abschrift des Urteils in ihren Händen gehalten habe, sei die Notfrist des § 339 Abs. 1 ZPO in Gang gesetzt worden. Dass die Zustellung fehlerhaft durchgeführt worden war, nämlich dass sie, anders als es das Gesetz in § 317 ZPO vorsieht, nicht von Amts wegen, sondern im Parteibetrieb erfolgt war, ändere daran nichts. Das Oberlandesgericht München hielt, wie ein Teil der Literatur und der Rechtsprechung, die Wahl einer falschen Zustellungsart für einen nach § 189 ZPO heilbaren Zustellungsmangel. Das Teil-Versäumnisurteil gelte als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Zielperson tatsächlich zugegangen ist. Folglich sei die am 10 Mai 2006 in Gang gesetzte zweiwöchige Einspruchsfrist am 29. Mai 2006 bereits abgelaufen gewesen. Das Oberlandesgericht München hob daher mit Urteil vom 19. Dezember 2007 das erstinstanzliche Urteil auf und verwarf den Einspruch der Beklagten als unzulässig.


Die durch die Beklagte daraufhin eingelegte Revision führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.


Anders als das Oberlandesgericht hält der 4. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Heilungsvorschrift des § 189 ZPO im vorliegenden Fall der falschen Zustellungsart für nicht anwendbar. Der Anwendungsbereich von § 189 ZPO wird zwar allgemein und zu Recht weit ausgelegt, allerdings darf diese Auslegung nicht dazu führen, dass die gesetzlichen Vorschriften über das Zustellungsverfahren vollständig außer Acht gelassen werden können. Gemäß der bisherigen Rechtsprechung zu § 189 ZPO (BGHZ 7, 268, 270 u.a.) fordert der Bundesgerichtshof, dass zumindest eine förmliche Zustellung angestrebt sein und ein Zustellungswillen vorhanden sein müssen. Im vorliegenden Fall kann der Zustellungswillen der Klägerin nach der Auffassung des 4. Zivilsenats nicht den (fehlenden) Zustellungswillen des Gerichts ersetzen. Dessen Zustellungsversuch war am 27. März 2006 fehlgeschlagen. Der Wille muss sich auf die konkret durchgeführte Zustellung beziehen. Es genügt nicht, dass der durch den Gerichtsvollzieher auf Ge-heiß der Klägerin bewirkte Zugang des Teil-Versäumnisurteils letztlich dem Willen des zuständigen Organs, nämlich des Gerichts, entsprach. Erst die erneute Zustellung von Amts wegen am 15. Mai 2006 war (wieder) vom Willen des Gerichts getragen. Der Einspruch am 29. Mai 2006 erfolgte somit noch innerhalb der (Not-)Frist.


Diese Auffassung begründet der Senat damit, dass der Zustellungsadressat wegen der besonderen Bedeutung der Notfrist und der damit für ihn verbundenen Rechtsfolgen nur dann eine Heilung eines Zustellungsmangels in Kauf nehmen muss, wenn er davon ausgehen kann, dass das Gericht ihm das betreffende Schriftstück auch tatsächlich zustellen wollte. Im Fall einer Parteizustellung fehlt eine solche Zustellungsabsicht seitens des Gerichts.

BGH vom 19.05.2010, Az. V ZR 14/08


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