(ip/RVR) Mit Beschluss vom 12. April diesen Jahres entschied der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs über die fristwahrende Einlegung der Berufung in einer Wohnungseigentumssache, wenn auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 72 Abs. 2 S. 2 und 3 GVG ein anderes Landgericht - abweichend vom Normalfall des § 72 Abs. 2 S. 1 GVG - für die Berufung zuständig ist. Beruht die Versäumung der Berufungsfrist auf einer unzureichenden Prüfung einer solch abweichenden Regelung, so ist die Versäumung nicht unverschuldet im Sinne von § 233 ZPO.

In erster Instanz verurteilte das Amtsgericht die Beklagte zur Zahlung von rückständigem Hausgeld in Höhe von EUR. 1.306,28 nebst Zinsen. Hiergegen legte die Beklagte am letzten Tage der Frist Berufung beim - unzuständigen - Landgericht Oldenburg ein, knapp 14 Tage später auch beim - zuständigen - Landgericht Aurich, zusammen mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (= Beseitigung der Folgen der Fristversäumung). Letzteres wurde damit begründet, die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätten von der abweichenden Zuständigkeitsregelung weder gewusst noch wissen müssen. Das LG Aurich hat den Antrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wiederum wand sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde zum BGH, welche als unzulässig verworfen wurde.

Die Zulässigkeit der Beschwerde scheiterte an den Erfordernissen des § 574 Abs. 2 ZPO, wonach die Sache entweder grundsätzliche Bedeutung haben oder zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung entschieden werden muss. Beides verneinte der BGH, letzteres insbesondere auch deswegen, weil das Berufungsgericht den Zugang zu der an sich statthaften Berufung nicht unzumutbar erschwerte und sich insoweit in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH stand.

Der V. Senat bestätigte den Beschluss des LG Aurich in allen wesentlichen Punkten.

Fristwahrend konnte die Berufungsschrift nur durch rechtzeitige Einreichung der Berufungsschrift beim zuständigen LG Aurich eingelegt werden. Da das Land Niedersachsen von der Ermächtigung des § 72 Abs. 2 S. 2 und 3 GVG Gebrauch gemacht hat und mit § 2a nds. ZustVO-Justiz 1998 (jetzt § 10 nds. ZustVO-Justiz 2009) eine von § 72 Abs. 2 S. 1 GVG abweichende Berufungszuständigkeit anordnete, war nicht das LG Oldenburg als das für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständige Landgericht, sondern das Landgericht Aurich für die Berufung in Streitigkeiten nach § 43 Nr. 2 WEG zuständig. Die beim zuständigen LG Aurich eingelegte Berufung kam jedoch knapp 14 Tage zu spät.

Die beim unzuständigen LG Oldenburg an sich fristgerecht eingelegte Berufung konnte auch nicht nach § 281 ZPO an das zuständige Gericht verwiesen werden, weil sie bei normalem Geschäftsgang auch dort verspätet eingegangen wäre.

Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Berufung bei Streitigkeiten nach § 43 Nr. 2 WEG fristwahrend nur bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Gericht eingereicht werden kann, besteht nur für den Fall, „wenn die Frage, ob eine Streitigkeit im Sinne der genannten Regelungen vorliegt, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und man über deren Beantwortung mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein kann.“ Diese Voraussetzungen waren in der Sache aber unzweifelhaft nicht gegeben, weshalb auch eine Ausnahme nicht in Betracht kam und die Berufungseinlegung beim LG Oldenburg nicht fristgerecht erfolgte, mithin als unzulässig zu verwerfen war.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war deshalb zurückzuweisen, weil es am Erfordernis des Nichtverschuldens gemäß § 233 ZPO mangelte. Der Einwand der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, sie hätten von der abweichenden Zuständigkeitsregelung nichts wissen müssen, greift nicht durch, sondern deutet vielmehr auf ein Versäumnis der Prozessbevollmächtigten hin, das sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Der BGH führt dazu aus, der Rechtsanwalt müsse die Berufungsschrift auf ihre Richtigkeit hin überprüfen, insbesondere auch die Bezeichnung des zuständigen Gerichts. Dazu gehöre bei einer bundesrechtlichen Zuständigkeitsanordnung, welche abweichende Regelungen durch Landesrecht zulässt, eben auch die Prüfung, ob das jeweilige Land davon Gebrauch gemacht hat. „Diese Prüfung drängte sich schon nach dem Text der Vorschrift auf.“ Sie war nach dem BGH auch unschwer möglich, da sowohl in der Kommentarliteratur zum WEG, wie auch in der Neuen Juristischen Wochenschrift ausdrücklich auf die abweichende Regelung für den OLG-Bezirk Oldenburg hingewiesen sei. Auch die landesrechtliche Vorschrift sei unschwer über das Internetangebot des Landes Niedersachsen aufzufinden.

BGH vom 12.04.2010, Az. V ZB 224/09


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