(ip/RVR) Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe entschied über die Unterversicherung und den maßgebenden Versicherungswert eines Rohbaus vor dem Versicherungsschadensfall. Die Klägerin, zugleich Versicherungsnehmerin, klagt auf Inanspruchnahme der Versicherungsgesellschaft, Beklagte, aus einer Gebäudeversicherung.

Im Versicherungsantrag auf Abschluss der Wohngebäude- einschließlich Feuerrohbauversicherung gab die Klägerin die Fertighausklasse 1 an, sowie mindestens zu 50 % zum Wohnzweck dienen. Die Immobilie sollte durch die vom Ehemann der Klägerin geführte L-GmbH errichtet werden.
Das von der Versicherungsgesellschaft geführte Antragsformular unterscheidet selbst nur zwischen Ein- und Mehrfamilienhäusern. Übersteigt die gewerbliche Nutzung 50 %, gilt der gewählte Tarif nicht. Die Beklagte stellte den Versicherungsschein unter Einbeziehung der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen aus.

Nach durchgeführten Dachdeckerarbeiten im Heißklebeverfahren, die im Auftrag der L GmbH erfolgten, brannte der Rohbau teilweise ab. Die Versicherungsgesellschaft ließ vor Ort den Schaden begutachten. Hierauf trat sie vom Vertrag zurück, unter gleichzeitiger Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Aus den Gründen war zu entnehmen, eine zum Antragsformular gewählte abweichende Bauartklasse und die Tatsache, dass die gewerbliche Nutzfläche mehr als 50 % der Immobiliengesamtfläche überstieg.

Das im Sachverständigenverfahren gem. § 22 VGB 88 erstellte Gutachten bezifferte den Brandschaden auf 124.165,00 EUR zzgl. Aufräum- und Schadensminderungskosten i.H.v. 11.600,00 EUR und 1.000,00 EUR. Das Fertighaus wurde der Fertighausklasse 2 zugeordnet. Die Klägerin begehrt im Klagewege die weitergehende Geltendmachung von Schäden an Fenstern, erhöhter Umsatzsteuer aufgrund Zahlungsverzögerung der Beklagten und hieraus resultierender allgemeinen Preissteigerung für Baumaterialien, Mietausfall, und weiterer Kosten. Insgesamt ein Betrag von 179.497,04 EUR zzgl. Rechtsanwaltsgebühren.
Die Beklagte verfolgte die Klageabweisung.

Die Berufung der Klägerin wurde durch das Oberlandesgericht teilweise als begründet entschieden.

Für eine Kürzung der Ansprüche der Klägerin wegen Unterversicherung besteht weder eine Grundlage im Versicherungsvertrag noch im in den zugehörigen Vertragsbedingungen.

§ 16 Nr. 1 der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 88) ist zu entnehmen „ist die Versicherungssumme niedriger als der Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls (Unterversicherung), so wird nur der Teil des nach § 15 NR. 1 bis 3 ermittelten Betrages ersetzt, der sich zu dem ganzen Betrag verhält wie die Versicherungssumme zu dem Versicherungswert“.

Demnach ist der Versicherungswert „der tatsächliche Wert (hier: Neuwert) des Gebäudes unmittelbar vor dem Schadensfall“.

Das Oberlandesgericht stellte klar, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen Allgemeine Geschäftbedingungen des Versicherers im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB sind. Nach der BGH Rechtsprechung sind diese „so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss“.

Zwischen der Versicherung eines Rohbaus und der einer fertigen Immobilie wird nach Sicht eines Versicherungsnehmers in § 16 Nr. 1 VGB 88 nicht differenziert. Vielmehr kann er der Vorschrift entnehmen, „dass der Unterversicherungseinwand an zwei Werte anknüpft, nämlich an die Versicherungssumme und an den Versicherungswert“. Die Versicherungssumme ist ein vertraglich vereinbarter Wert. Der Versicherungswert hingegen ein tatsächlicher Wert vor Eintritt des Schadens. Während der Rohbauphase steht dem Versicherungsnehmer als Entschädigung der ortsübliche Neubauwert der unfertigen Immobilie zu. „Dass unter Versicherungswert in der Rohbauversicherung etwas anderes verstanden werden sollte, als in der Wohngebäudeversicherung, erschließt sich“ für den Versicherungsnehmer nicht. Das Oberlandesgericht bestätigte damit, den Zuspruch der Klägerin hinsichtlich dem Brandschaden, Aufräum- und Schadensminderungskosten zusammen i.H.v. 136.750,00 EUR, zuzüglich Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit, sowie gemäß § 23 Nr. 2 VGB 88 Entschädigungszinsen ab Anzeige des Schadens über 10.241,92 EUR.

Der Anspruch auf Mietausfall wurde zurückgewiesen, ein Ersatzanspruch für den Ausfall gewerblicher Miete wurde vertraglich nicht vereinbart.

Ein Anspruch auf Mietentgang könnte aus § 280 Abs. 1 BGB, wegen Pflichtverletzung durch unberechtigten Rücktritt bzw. Anfechtung, hergeleitet werden.

Nach der Rechtsprechung des BGH entspricht die Beklagte der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, § 276 Abs. 2 BGB, „wenn er prüft, ob die Vertragsstörung auf eine Ursache zurückzuführen ist, die dem eigenen Verantwortungsbereich zuzuordnen, der eigene Rechtsstandpunkt mithin plausibel ist.“

Bei der Überprüfung stütze die Beklagte sich auf die Tatsache, dass die Klägerin im Versicherungsantrag falsche Angaben zum Nutzungszweck und der Einordnung in die Bauartklasse vornahm. So dass die Beklagte von einer Berechtigung zum Rücktritt nach §§ 16, 20, 21 VVG a.F. ausging. Ein schuldhaftes Verhalten Seitens der Beklagten liegt somit nicht vor, so dass kein Anspruch auf Mietengang besteht.

Ferner unterließ die Klägerin eine Inanspruchnahme der L-GmbH aus werkvertraglicher Gewährleistung auf unverzügliche Wiederherstellung, welche einen etwaigen Anspruch aus §§ 280, 286 BGB vollumfänglich mindern würde.

Wird die Wiederherstellung nicht unverzüglich vorgenommen, werden Mehrkosten, aufgrund Preissteigerung, zwischen Schadenseintritt und Schadensbeseitigung, nach § 15 Nr. 2 VGB 88, insoweit erstattet, wie sie bei unverzüglicher Wiederherstellung entstanden wären.

OLG Karlsruhe 12 U 167/09