(ip/RVR) Mit notariellem Kaufvertrag aus dem Jahr 1938 erwarb die Klägerin, eine Wohnungsbaugenossenschaft, von der beklagten Stadt Grundstücke zu einem dem regulären Marktpreis entsprechenden Kaufpreis von 5 Reichsmark je Quadratmeter. Sie verpflichtete sich, auf den erworbenen Flächen Großwohnhäuser mit billigen Wohnungen von je etwa 52 qm Wohnfläche für die werktätige Bevölkerung zu errichten und näher bestimmte Mietobergrenzen einzuhalten. Im Kaufvertrag ist ein Wiederkaufsrecht der Beklagten vereinbart, welches bis zum 31.Dezember 2027 nur unter näher bestimmten Voraussetzungen, in der Zeit vom 1.Januar 2028 bis zum 31.Dezember 2028 jedoch unbedingt ausgeübt werden kann. Der Wiederkaufspreis entspricht dem vereinbarten Kaufpreis ohne Zinsen. Für die vertragsgemäß errichteten Gebäude ist eine Entschädigung von zwei Dritteln des gemeinen Werts zu leisten, den die Gebäude bei der Ausübung des Wiederkaufsrechts haben. Die Klägerin möchte festgestellt wissen, dass die Beklagte ein etwaiges Wiederkaufsrecht nicht mehr ausüben kann. Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.

Ein Wiederkaufsrecht, das erstmals nach 90 Jahren, im Übrigen aber voraussetzungslos ausgeübt werden kann, ist wirksam, sofern die Bedingungen des Rückkaufs den Käufer nicht unangemessen benachteiligen.

Der Senat stellte hierzu zunächst fest, dass das vertraglich vereinbarte Wiederkaufsrecht, welches der Beklagten im Jahr 2028 unbedingt zusteht, wirksam ist. Insbesondere ist es nicht sittenwidrig i.S.d. § 138 Abs.1 BGB.

Mit diesem Recht hat sich die Beklagte vorbehalten, den Grundstücksverkauf nachträglich in ein der Bestellung eines Erbbaurechts auf 90 Jahre vergleichbares Nutzungsverhältnis umzugestalten. Es ermöglicht ihr, im Jahr 2028 zu entscheiden, ob sie das Grundstück gegen Zahlung des Wiederkaufspreises und der vereinbarten Entschädigung für die von der Klägerin errichteten Gebäude zurückerwirbt, oder ob sie hiervon absieht. Ein solches Wahlrecht ist für sich genommen nicht verwerflich. Dass der Wiederkaufsberechtigte im Zweifel die für ihn wirtschaftlich günstigere Alternative wählen und insbesondere Bodenwertsteigerungen abschöpfen wird, ist weder zu missbilligen noch führt es zu einer unzumutbaren Belastung des Käufers - sofern die Bedingungen des Wiederkaufs angemessen sind. Der Käufer kann erkennen und sich von Anfang darauf einstellen, dass er das Grundstück nach der vereinbarten Frist, hier nach 90 Jahren, möglicherweise an den Verkäufer zurückübereignen muss, also bis zu der Entscheidung des Verkäufers über die Ausübung des Wiederkaufsrechts in wirtschaftlicher Hinsicht eher einem Erbbauberechtigten als einem Eigentümer gleichsteht. Dabei kann die Vereinbarung eines Wiederkaufsrechts statt eines Erbbaurechts auch für den Käufer vorteilhaft sein; beispielsweise ist er nur als Eigentümer in der Lage, das Grundstück als Kreditsicherheit zu nutzen. Dass er im Gegensatz zu einem Erbbauberechtigten den vollen Kaufpreis zahlt, wird durch den Wiederkaufspreis kompensiert. Wird das Wiederkaufsrecht ausgeübt, hat der Käufer dem Verkäufer als Gegenleistung für die Nutzung des Grundstücks die Nutzungen des Kaufpreises überlassen und damit einen dem Erbbauzins vergleichbaren Wert aufgewandt.

Das Wiederkaufsrecht stellt sich auch nicht deshalb als sittenwidrig dar, weil als im Jahr 2028 zu zahlender Wiederkaufspreis der 1938 vereinbarte Kaufpreis ohne Wertsicherungsklausel bestimmt worden ist; diese Vereinbarung entspricht der Zweifelsregelung des § 456 Abs.2 BGB (§ 497 Abs.2 BGB a.F.). Die Annahme eines groben Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung läge zwar nahe, wenn die Beklagte bei Ausübung des Wiederkaufsrechts nur den (in Euro umgerechneten) Nominalbetrag des Kaufpreises als Wiederkaufspreis zahlen müsste, und so der vorhersehbare inflationsbedingte Wertverlust des Geldes über einen Zeitraum von 90 Jahren zu Lasten der Klägerin ginge. So verhält es sich hier aber nicht - im Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Parteien entsprach es noch allgemeiner Auffassung, dass Veränderungen des Geldwertes in der Weise zu berücksichtigen seien, dass ein in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Auslegungsregel des § 456 Abs.2 BGB (§ 497 Abs.2 BGB a.F.) festgesetzter Wiederkaufspreis die gleiche Kaufkraft wie der Kaufpreis haben müsste. Dies lässt den Schluss zu, dass der Wiederkaufspreis nach übereinstimmender Vorstellung beider Parteien allgemeinen Geldentwicklung angepasst werden sollte, sodass der Wiederkaufspreis (auch ohne Vereinbarung einer Wertsicherungsklausel) dem Wert der Kaufkraft entspricht, den der Kaufpreis im Jahr 1938 hatte. Der Wiederkaufspreis wird deshalb der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten an den heutigen Geldwert angepasst.

Ferner führte der Senat aus, dass die Beklagte auch nicht aufgrund der ihr sich aus dem öffentlichen Recht ergebenden Bindungen an der Ausübung dieses Wiederkaufsrechts gehindert ist. Zwar ist das gesamte Handeln der öffentlichen Verwaltung durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimmt. Die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist deshalb stets verpflichtet, die Ausübung eines vertraglich vereinbarten Rechts auf das nach dessen Zweck erforderliche und angemessene Maß zu beschränken sowie unzumutbare Härten im Einzelfall zu vermeiden. Vor der Ausübung eines ihr zustehenden Rechts (auch im Bereich des Verwaltungsprivatrechts) hat sie im Wege einer Ermessensentscheidung zu prüfen, ob und inwieweit es geltend gemacht werden soll. Nach welcher Zeitdauer die Ausübung eines zugunsten der öffentlichen Hand vereinbarten Wiederkaufsrechts unverhältnismäßig ist, hängt von der jeweiligen Funktion der Ausübungsfrist ab. Die hier vereinbarte Frist von 90 Jahren bestimmt den Zeitpunkt, zu dem das unbedingte Wiederkaufsrecht erstmals ausgeübt werden darf. Je länger die Frist ist, desto länger bleibt die Klägerin Eigentümerin des Grundstückes und desto länger kann sie dessen Nutzungen sowie die ihrer Investitionen ziehen. Umgekehrt bedeutete eine geringere Dauer eine größere Belastung, weil sich damit der Zeitraum verkürzte, in welchem die Klägerin vor der Ausübung des Wiederkaufsrechts geschützt ist und so ihre Investitionen amortisieren kann. Ihre Rechtsstellung hätte sich also verschlechtert, wenn die Beklagte berechtigt gewesen wäre, das unbedingte Wiederkaufsrecht bereits nach 20 Jahren auszuüben. Führt ein längerer Zeitraum, bis zu dem ein Wiederkaufsrecht erstmals ausgeübt werden kann, aber nicht zu einer größeren und damit ab einem bestimmten Zeitpunkt unverhältnismäßigen Belastung des Käufers, lassen sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in zeitlicher Hinsicht keine Beschränkungen für dessen Ausübung ableiten. Die Ausübungsfrist von 90 Jahren ist hier nicht unverhältnismäßig. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hindert die öffentliche Hand hier nicht, das Recht nach 90 Jahren auszuüben.

BGH vom 29.10.2010, Az. V ZR 48/10


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