(ip/RVR) Die Kläger sind Eigentümer einer Wohnung in einer Wohnungseigentumsanlage. Beklagte ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. In der Wohnung der Kläger zeigte sich ein Wasserschaden an der Decke des Wohnzimmers. Die Eigentümerversammlung beschloss die Instandsetzung. Trotz mehrerer Reparaturversuche kam es zu weiteren Wassereinbrüchen, bis ein Konstruktionsfehler an dem Tür-Fenster-Element in der Wohnung über der der Kläger als Ursache des Mangels erkannt wurde. Der Mangel wurde behoben. Die Kläger verlangen von der Beklagten Ersatz für Mietminderungen und Ausfälle durch den Auszug der Mieterin und Ersatz der Kosten der Instandsetzung.

Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht musste einen Ersatzanspruch der Kläger nach §§ 280, 286 BGB verneinen, weil die Beklagte bzgl. des Konstruktionsfehlers, welcher Ursache der Wasserschäden war, kein Verschulden traf, und sie unverzüglich nach dem ersten Wassereinbrauch die Mangelbeseitigung beschlossen hatte.
Die Vorschrift des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB (die einen verschuldensunabhängigen Anspruch gewährt - 'nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch') sei unmittelbar nicht einschlägig, und auch nicht analog anwendbar. Die Berufung wurde zurückgewiesen.

Die Kläger verfolgen ihre Ansprüche mit der Revision weiter. Die Rechtsfragen, deretwegen die Revision zugelassen wurde - ob hier eine analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB legitim wäre, und gegebenenfalls gegen wen ein solcher Anspruch zu richten wäre - beziehen sich allein auf den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch. Die Revision wurde deshalb nur begrenzt, nur für die Entscheidung über ebendiesen Ausgleichsanspruch zugelassen, auch wenn dies nicht explizit (im Tenor) ausgesprochen wurde. Somit ist die Revision zulässig, soweit sie sich gegen die Abweisung des Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wendet. Sie ist jedoch als unbegründet zurückzuweisen.

Für die auf einem Mangel des Gemeinschaftseigentums beruhenden Beeinträchtigungen der Nutzung seines Sondereigentums steht dem Wohnungseigentümer ein Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht zu.
Voraussetzung für die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB bei Beeinträchtigungen durch 'Grobimmissionen' (hier das Eintreten von Wasser in die Wohnung der Kläger) ist zunächst das Bestehen eines Anspruchs auf Abwehr einer solchen Beeinträchtigung nach § 1004 Abs. 1 BGB, der aus besonderen Gründen nicht oder nicht rechtzeitig geltend gemacht werden kann. Das Bestehen dieses Anspruchs ist eine notwendige, aber nicht die allein hinreichende Voraussetzung für die Anwendung der Grundsätze des verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Analogiefähig ist das Rechtsinstitut des nachbarrechtlichen Ausgleichs nur für Sachverhalte, die dem in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB geregelten strukturell vergleichbar sind, und nur, wenn die damit verbundene Schutzbedürftigkeit des potentiell Anspruchsberechtigten nicht anders befriedigt werden kann.

Der hier zu entscheidende Sachverhalt steht mit dem in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB geregelten Sachverhalt nicht in Einklang.
§ 906 Abs. 2 Satz 2 ist ein Element des Interessenausgleichs, der für die Möglichkeit einer sachgerechten Nutzung von einander benachbarten Grundstücken notwendig ist: gegenläufige Interessen bei der Nutzung benachbarter Grundstücke sind auf der Grundlage eines zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtenden nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses billig auszugleichen. Hier dagegen ist im Verhältnis der Miteigentümer untereinander ein Interessenausgleich nicht notwendig, da die ordnungsgemäße Nutzung und Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums im Interesse aller Miteigentümer ist, sodass sie sich insoweit nicht mit widerstreitenden Interessen bei der Nutzung ihres Eigentums gegenüberstehen. Dass der Mangel im Gemeinschaftseigentum nicht allen Miteigentümern gleich schadet, sondern allein einen Schaden an einer Sondereigentumseinheit (hier der Kläger) verursacht, ändert nichts an der strukturellen Verschiedenheit des Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB und dem hier geltend gemachten Anspruch auf Ausgleich des Schadens eines Miteigentümers. Entscheidend ist, dass die Beeinträchtigung des Sondereigentums auf dem Mangel an einem im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Bestandteil desselben Gebäudes beruhte, zu dessen Erhaltung und Instandsetzung alle Miteigentümer verpflichtet sind.

Eine entsprechende Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zum Schutz des Sondereigentums gegen von Mängeln im Gemeinschaftseigentums ausgehende Einwirkungen ist auch nicht geboten.
Das Wohnungseigentumsgesetz schützt das Sondereigentum bei erlaubter Inanspruchnahme durch einen dem § 904 Satz 2 BGB nachgebildeten Aufopferungsanspruch (vgl. § 14 Nr. 4 Halbs. 2 WEG), und außerdem durch das unter den Wohnungseigentümern bestehende gesetzliche Schuldverhältnis, das jedem Wohnungseigentümer einen Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums gibt, zu der insbesondere die Instandhaltung und die Instandsetzung (§ 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG) und der Abschluss von Versicherungsverträgen (§ 21 Abs. 5 Nr. 3 WEG) gehören. Eine im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließende Lücke zum Schutz vor von Mängeln im Gemeinschaftseigentum ausgehenden Einwirkungen besteht nicht.

Angesichts des unter den Wohnungseigentümern bestehenden Gemeinschaftsverhältnisses, innerhalb dessen spezielle Schutz- und Treuepflichten bzgl. des gemeinschaftlichen Eigentums bestehen, ist für eine entsprechende Anwendung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB kein Raum, wenn die Nutzung des Sondereigentums durch Mängel im gemeinschaftlichen Eigentum beeinträchtigt wird.

BGH vom 21.05.2010, Az. V ZR 10/10


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