(ip/RVR) Die Beklagte hat im Jahre 1995 von der Stadt als Rechtsvorgängerin der Klägerin eine Wohnung in einem Wohnblock gemietet. Der Wohnblock gehört zu einer ursprünglich aus rund 500 Wohneinheiten bestehenden Siedlung. Die Klägerin hat diese Siedlung im Oktober 1996 erworben. Ein Teil der Siedlung wurde von der Stadt unter Milieuschutz gestellt und von der Klägerin mit verhältnismäßig geringen Maßnahmen instand gesetzt. Die grundlegenden Nachteile der Wohnungen - kleine, gefangene Räume mit niedrigen Decken, schlechte Belichtung, Ausstattung nur mit kleinem WC-Raum und Waschbecken - konnten dadurch nicht beseitigt werden. Für die übrigen 20 Wohnblocks der alten Siedlung hat die Stadt eine Zweckentfremdungsgenehmigung erteilt, die auf der Planung der Klägerin beruht, nach dem Abriss der bestehenden Gebäude zeitgemäß zugeschnittene und ausgestattete, auch für Familien geeignete Mietwohnungen mit einer größeren Gesamtwohnfläche zu errichten. Die Klägerin hat hierfür ein städtebauliches Konzept der neuen Siedlung mit aufeinander abgestimmten Neubauhäusern erstellt und öffentliche Fördermittel erhalten.

Die Klägerin hat das Mietverhältnis mit der Beklagten gemäß § 573 Abs.2 Nr.3 BGB ordentlich gekündigt. Zu diesem Zeitpunkt waren - abgesehen von dem unter Milieuschutz gestellten Siedlungsteil - sämtliche Wohnhäuser der alten Siedlung bis auf den Block, in dem sich die von der Beklagten gemietete Wohnung befindet, bereits abgerissen und durch Neubauwohnungen ersetzt. Die Beklagte ist die einzig verbliebene Mieterin im letzten Block; die Anschlüsse für den an seiner Stelle geplanten Neubau sind in dem neu errichteten Nachbarhaus schon vorhanden.

Zur Wirksamkeit der Verwertungskündigung führte der VIII. Senat aus:
Die Kündigung ist nicht aus formellen Gründen unwirksam, insbesondere hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses nach § 573 Abs.3 Satz 1 BGB hinreichend konkret begründet. Bei einer Kündigung nach § 573 Abs.2 Nr.3 BGB wegen eines geplanten Abrisses und Neubaus ist dem Begründungserfordernis des § 573 Abs.3 BGB Genüge getan, wenn dem Mieter mitgeteilt wird, aus welchen Gründen der Vermieter die vorhandene Bausubstanz nicht für erhaltenswert hält und welche baulichen Maßnahmen er stattdessen plant.

Das Begründungserfordernisses hat den Sinn, dem Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition zu verschaffen, sodass er rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen veranlassen kann; hierzu genügt im Allgemeinen, dass das Kündigungsschreiben den Kündigungsgrund so bezeichnet, dass er identifiziert und von anderen Gründen unterscheidbar ist.

Die Klägerin hat im Kündigungsschreiben im Einzelnen ausgeführt, dass die in der Zeit von 1934 bis 1939 als Behelfsheim gebaute Siedlung sowohl erhebliche städtebauliche Mängel als auch gravierende gebäudetechnische Mängel aufweise und die Kosten einer Modernisierung mit 1.250 EUR je qm fast die mit 1.650 EUR je qm kalkulierten Neubaukosten erreichten. Da auch mit der Modernisierung ein großer Teil der städtebaulichen Mängel nicht beseitigt würde, sei im Jahr 1998 - auch im Interesse des Allgemeinwohls - die Entscheidung für einen Abriss und den Neubau einer auch für größere Familien attraktiven Siedlung mit deutlich größerer Gesamtwohnfläche und besserer Nutzung der vorhandenen Flächen gefallen; die Stadt habe insoweit die erforderliche Abriss- und Zweckentfremdungsgenehmigung erteilt.
Diese Ausführungen werden dem Begründungserfordernis nach § 573 Abs.3 gerecht, sie bieten dem Mieter eine ausreichende Grundlage für die von ihm zu treffende Entscheidung, ob er der Kündigung widersprechen oder sie hinnehmen will.

Entgegen einer zum Teil in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und in der Literatur vertretenen Auffassung bedarf es zur Begründung einer Verwertungskündigung im Rahmen des § 573 Abs.4 BGB keiner Vorlage von Wirtschaftlichkeitsberechnungen, etwa zur wirtschaftlichen Rentabilität einer Sanierung. Denn ob der vom Vermieter für den Fall des Fortbestehens des Mietverhältnisses geltend gemachte erhebliche Nachteil angesichts einer wirtschaftlich vertretbaren Sanierungsmöglichkeit tatsächlich besteht, betrifft die materielle Berechtigung der Kündigung und ist, soweit relevant, im Prozess durch Beweisaufnahme zu klären. Dass bereits das Kündigungsschreiben selbst die gerichtliche Feststellung des Vorliegens der Kündigungsvoraussetzungen erlaubt, ist durch das berechtigte Informationsbedürfnis des Mieters nicht geboten.

Der von der Klägerin geplante Abriss des vorhandenen Gebäudes und seine Ersetzung durch einen Neubau stellt eine wirtschaftliche Verwertung des Grundstücks dar.

Die Kündigung ist materiell berechtigt, da die Klägerin durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wäre und ihr dadurch erhebliche Nachteile entstehen würden. Angemessen im Sinne des § 573 Abs.2 Nr.3 BGB ist eine wirtschaftliche Verwertung dann, wenn sie von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen wird; dies ist hier gegeben; die erforderliche Zweckentfremdungsgenehmigung wurde der Klägerin bereits erteilt.

Die Beurteilung der Frage, ob dem Eigentümer durch den Fortbestand eines Mietvertrages ein erheblicher Nachteil entsteht, ist vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art.14 Abs.2 GG) und damit des grundsätzlichen Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, vorzunehmen. Die im Rahmen des § 573 Abs.2 Nr.3 BGB erforderliche Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse des Eigentümers lässt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der konkreten Situation des Vermieters treffen und ist durch den Tatrichter vorzunehmen.

Das Berufungsgericht hat den 'erheblichen Nachteil' darin gesehen, dass die Klägerin bei einer Fortsetzung des Mietverhältnisses mit der Beklagten den Wohnblock, in dem sich die Wohnung der Beklagten befindet, nicht durch einen Neubau ersetzen und somit das von ihr mit der Siedlung verfolgte städtebauliche Konzept nur unvollständig verwirklichen könne. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kann durch Sanierungsmaßnahmen der alten Bausubstanz unter Erhalt der Wohnung der Beklagten ein baulicher Zustand, der mit heutigen Wohnbedürfnissen und Vorstellungen im Einklang steht, nicht erreicht werden.

Die hierauf gestützte Würdigung des Berufungsgerichts, der Klägerin könne nicht zugemutet werden, mit Rücksicht auf das Mietverhältnis mit der Beklagten den letzten noch vorhandenen Wohnblock trotz seines nicht behebbar minderwertigen Wohnwerts weiter zu bewirtschaften und insoweit auf die Verwirklichung ihres an einer angemessenen Wohnraumversorgung ausgerichteten städtebaulichen Konzepts zu verzichten, ist deshalb nicht zu beanstanden. Angesichts der Umstände kommt es nicht darauf an, welche Kosten bei einer Instandsetzung des Wohnblocks unter Erhalt der Wohnung der Beklagten aufzuwenden wären.

BGH vom 09.02.2011, Az. VIII ZR 155/10


© Copyright immobilienpool.de Media / RVR Rechtsanwälte Stuttgart