(ip/RVR) Der Bundesgerichtshof hatte kürzlich über Haftung des Vermieters bei eigenmächtiger Inbesitznahme der Wohnung zu entscheiden.

Der Kläger war Mieter einer Wohnung der Beklagten. Ab dem Februar 2005 war er für mehrere Monate mit unbekanntem Aufenthalt ortsabwesend. Aufgrund einer Vermisstenmeldung wurde seine Wohnung auf polizeiliche Anordnung geöffnet und durchsucht. Die über diese Vorgänge informierte Beklagte kündigte am 20. April durch Einwurf des Kündigungsschreibens in den Wohnungsbriefkasten des Klägers fristlos. Eine Räumungsklage erhob sie nicht. Am 19. Mai 2005 nahm sie die Wohnung in Besitz, wobei sie einen großen Teil der Wohnungseinrichtung entsorgte. Weitere in der Wohnung befindliche Gegenstände lagerte sie ein.

Gestützt auf ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten, beansprucht der Kläger für ihm durch Entsorgung oder auf sonstige Weise abhanden gekommene, beschädigte oder verschmutzte Gegenstände Schadensersatz in Hohe von 61.812,65 Euro zuzüglich der ihm entstandenen Gutachterkosten in Höhe von 1.247,- Euro. Darüber hinaus beansprucht er das aus der Nebenkostenabrechnung für 2004 für ihn ausgewiesene Guthaben von 379,34 Euro.

Die Beklagte rechnet mit einem Mietrückstand von 249,23 Euro sowie Entrümpelungskosten von 1.722,73 Euro hiergegen auf.

Das Amtsgericht erkannte dem Kläger einen Betrag von 130,70 Euro zu (379,93 Euro Nebenkostenguthaben abzüglich 249,23 Euro Mietrückstand) und wies die Klage im Übrigen ab.

Das Berufungsgericht wies die Berufung des Klägers zurück.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Revision.

Der Bundesgerichtshof entschied, dass die Beurteilung des Berufungsgerichts revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand hält, sodass die Revision Erfolg hat.

Zur Begründung führte der BGH unter anderem aus, dass solange der Mieter seinen an der Wohnung bestehenden Besitz nicht erkennbar aufgegeben hat, stellen die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch den Vermieter eine verbotene Eigenmacht im Sinne von § 858 Abs. 1 BGB und zugleich eine unerlaubte Selbsthilfe im Sinne von § 229 BGB dar. Für deren Folgen haftet der Vermieter über die vom Amtsgericht herangezogenen Vorschriften hinaus sogar verschuldensunabhängig nach § 231 BGB. Vielmehr ist der Mieter auch in den Fällen, wenn der gegenwärtige Aufenthaltsort des Mieters unbekannt ist, verpflichtet, sich einen Räumungstitel zu beschaffen und zwecks rechtmäßiger Besitzverschaffung aus diesem vorzugehen.

„Übt deshalb ein Vermieter – wie hier – im Wege einer sogenannten kalten Räumung durch eigenmächtige Inbesitznahme von Wohnung und Hausrat eine verbotene Selbsthilfe, ist er gemäß § 231 BGB zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet und kann sich auch nicht darauf berufen, sich über die Voraussetzungen und den Umfang seines Selbsthilferechts geirrt zu haben (Senatsurteile vom 6. Juli 1977, aaO, unter II 2; vom 1. Oktober 2003, aaO; Sternel, aaO; Horst, aaO, S. 140).“ Darüber hinaus trifft den Vermieter mit seiner Inbesitznahme zugleich eine Obhutspflicht, welche einer Entsorgung grundsätzlich entgegensteht. Zum einen hat diese Pflicht zur Folge, dass der Vermieter die nachweislich in Obhut genommenen Gegenstände vollständig und in einem gegenüber dem Zustand bei Inobhutnahme nicht verschlechterten Zustand wieder herausgeben muss; zum anderen hat er sich im Falle einer Unmöglichkeit der Herausgabe oder einer im Vergleich zum übernommenen Zustand nachweislich eingetretenen Verschlechterung der herauszugebenden Gegenstände zu entlasten, so dass ihn und nicht den Mieter insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft.

Zu den Obhutspflichten der Beklagten hat auch die Pflicht gehört, „die Interessen des durch Ortsabwesenheit und mangelnde Kenntnis von der Inbesitznahme an einer eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Klägers zu wahren.“ Es hätte ihr bei Inbesitznahme oblegen, ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufzustellen und deren Wert schätzen zu lassen, um dem Kläger eine Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen. Wenn die Beklagte dem nicht nachgekommen ist, ist sie verpflichtet zu beweisen, in welchem Umfang, Bestand und Wert der der Schadensberechnung zugrunde gelegten Gegenstände von den Angaben abweichen, die der Kläger hierzu gemacht hat.

Das Berufungsgericht verkannte auch die an eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO zu stellenden Anforderungen. „Steht – wie hier – der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach fest und bedarf es lediglich der Ausfüllung zur Höhe, darf die Klage grundsätzlich nicht vollständig abgewiesen werden. Vielmehr muss der Tatrichter den Schaden im Rahmen des Möglichen schätzen.“

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Leitsatz fasst zusammen:
„a) Die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch einen Vermieter stellt eine unerlaubte Selbsthilfe dar, für deren Folgen der Vermieter verschuldensunabhängig nach § 231 BGB haftet (Bestätigung der Senatsurteile vom 6. Juli 1977 – VIII ZR 277/75, WM 1977, 1126, und vom 1. Oktober 2003 – VIII ZR 326/02, WuM 2003, 708).
b) Der Vermieter, der eine Wohnung in Abwesenheit des Mieters ohne Vorliegen eines gerichtlichen Titels durch verbotene Eigenmacht in Besitz nimmt, hat sich aufgrund der ihn treffenden Obhutspflicht nicht nur zu entlasten, soweit ihm die Herausgabe nachweislich vorhandener Gegenstände unmöglich wird oder nachweislich eine Verschlechterung an herauszugebenden Gegenständen eintritt. Er muss aufgrund seiner Obhutspflicht die Interessen des an einer eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Mieters auch dadurch wahren, dass er bei der Inbesitznahme ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufstellt und deren Wert schätzen lässt. Kommt er dem nicht nach, hat er zu beweisen, in welchem Umfang Bestand und Wert der der Schadensberechnung zugrunde gelegten Gegenstände von den Angaben des Mieters abweichen, soweit dessen Angaben plausibel sind (Anschluss an BGHZ 3, 162).
c) Zu den Anforderungen an eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO.“

BGH vom 14.07.2010, Az.: VIII ZR 45/09


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